Ausstellung

Kreuzkirche Eisenach

WELTENWECHSEL

Weltenwechsel – Der deutsch-russische Maler Georg Schlicht (1886 – 1964) zwischen Saratow und Eisenach

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Epilog

1933-1934 lebte die Familie Schlicht noch einmal in Eise­nach, in der Bahnhofstraße 30. Nach dem Tod ihres Vaters führte Elisabeth Schlicht im Auftrag der Erbengemeinschaft das Hotel weiter, ehe die Familie 1935 endgültig nach Berlin übersiedelte. Dort besuchte seine Tochter Irmgard zumin­dest 1938–1939 die deutsch-russische Schule in der Ho­henstaufen-Straße. Die finanzielle Situation gestaltete sich kompliziert. Elisabeth Schlicht arbeitete als Hilfslehrerin, während Georg Schlicht ungeachtet seiner Mitgliedschaft in der NSDAP, der er bereits im Sommer 1932 beigetreten war, und seiner Funktion als NSDAP-Blockwart, Ortsgruppe Spi­chernstraße, keine Aufträge erhielt. Daran änderte auch seine Mitgliedschaft seit dem 01.01.1934 in der Reichs-Kulturkam­mer der bildenden Künste (Fachverband: Bund deutscher Maler und Graphiker e.V., Mitglieds-Nr. M 9507) nichts. Seine nicht einwandfreien Deutschkenntnisse verhinderten eine Anstellung, doch erhielt er zu Beginn der 1940er Jahre einen Studienaufenthalt auf der Insel Rügen zugesprochen. Zahl­reiche Studien und großformatige Bilder von Fischern und Meereslandschaften befinden sich heute im Besitz der Georg Schlicht-Stiftung in Eisenach. Auf die Zerstörung seines Ber­liner Ateliers und der Wohnung im Winter 1943/1944 reagier­te Georg Schlicht mit erneuten Zeichnungen zur Apokalypse, aber auch mit der Rückkehr zu russischen Motivkreisen, die ihm inneren Halt und Selbstvergewisserung boten.
Einige der Gemälde von Georg Schlicht sind nicht datiert. Rätsel gibt z.B. das Porträt einer Dame in Rokokomanier auf, deren Spitzenhäubchen, Kleid und bemüht graziöse Haltung auf russische Bildnisse aus der Mitte des 18. Jahrhunderts anspielt. Ähnliche Bilder kamen in Folge der von Sergei Djagi­lew 1905 im Taurischen Palais in St. Petersburg organisierten Historischen Porträtausstellung in Russland zu neuem Anse­hen und speisten retrospektive Phantasien. Georg Schlicht verzichtete dabei auf ironische, melancholische oder eroti­sche Untertöne, wie sie z.B. Konstantin Somow (1869–1939) kultivierte. Das einfühlsame Porträt eines jungen Mannes, der einen Keramikkrug in der Hand hält, entstand möglicher­weise auf einer Reise Georg Schlichts nach Süddeutschland in den 1930er Jahren.
Die politischen Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg eröffneten neue Betätigungsfelder. Obwohl die Familie in Berlin-Frohnau (damals im Französischen Sektor) wohnte, knüpfte Georg Schlicht mit Gründung der DDR 1949 Kon­takte zu dortigen Kulturinstitutionen. Als Mitglied des Kul­turbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (seit 01.01.1951, Mitglieds-Nr. 13192) und des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands (seit 01.04.1952, Mitglieds- Nr. I–588) erhielt Georg Schlicht Aufträge mit Bezug zur russi­schen Kultur, die der Kulturpolitik der DDR entsprachen. Dazu gehören Bildniszeichnungen von Schriftstellern wie Nikolai Nekrassow (1821–1878), Wissarion Belinski (1811–1848) und Iwan Turgenjew (1818–1883). Auch Maxim Gorki hat er porträtiert. Bei dem großformatigen, kraftvoll-dynamischen Halbfigurenporträt vor einer Meereslandschaft, das auf Gor­kis Jahre in Italien anspielt, handelt es sich um eine spie­gelverkehrte Kopie des posthumen Bildnisses des Schrift­stellers aus dem Jahr 1937 von Isaak Brodski (1883–1939) aus der Moskauer Tretjakow-Galerie. Georg Schlicht könnte es nach der Moskauer Zeitschrift “Ogonjok” gemalt haben, die das von Brodski gemalte Porträt auf dem Cover der Nr. 13 von 1958 anlässlich des 90. Geburtstages des Schriftstellers abgebildet hatte. Darüber hinaus malte Georg Schlicht Histo­rienbilder wie Konvention von Tauroggen 1812. Aussöhnung der Russen mit den Preußen und Karl Liebknecht 1918 vor dem Berliner Schloß. Möglicherweise auf Grund seiner Ko­pien der Wartburg-Fresken wurde er auch mit der Kopie des Gemäldes Aufbahrung der Märzgefallenen von Adolph Men­zel für das Historische Museum in Ost-Berlin betraut. Sein letztes, unvollendet gebliebenes Bild war aber wieder eine Troika. Georg Schlicht starb am 06.12. 1964 in Berlin und ist auf dem Humboldt-Friedhof in Reinickendorf beigesetzt.

Literatur (Auswahl)

Erik Amburger: Beiträge zur Geschichte der deutsch-russi­schen kulturellen Beziehungen. Gießen 1961.

Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russischer Kulturgemeinschaft.

Königswinter: Area Verlag 2005.

Adam Olearius: Moskowitische und Persische Reise. Die Holsteinische Gesandtschaft beim Schah. Hrsg. von Detlef Haberland. Stuttgart u.a.: Thienemann 1986.

Peter Simon Pallas: Reisen durch verschiedene Provinzen des Russischen Reichs. Hrsg. von Marion Lauch. Leipzig: Reclam 1987.

Michael Schippan, Sonja Striegnitz: Wolgadeutsche. Ge­schichte und Gegenwart. Berlin: Dietz 1992.

Reinhold Brunner: Bewegte Zeiten. Eisenach zwischen 1919 und 1945, Gudensberg-Gleichen: Wartberg-Verlag 1994.

Der Feuervogel des Georg Schlicht. O. Krylowa A. Krylow St. Petersburg. Hrsg. von Prof. Dr. med. Irmgard Schlicht. Berlin: Verlag Johannes Berlin 1999.

Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner [Hg.]: Deutsche in Russland und in der Sowjetunion 1914–1941. Berlin: Lit Verlag, 2007.

Karl Schlögel: Das russische Berlin. Ostbahnhof Europas. München: Carl Hanser Verlag 2007.

Susanne Marten-Finnis: Der Feuervogel als Kunstzeitschrift. ŽAR PTICA. Russische Bildwelten in Berlin 1921–1926. Wien Köln Weimar: Böhlau 2012.

Gerd Stricker: Deutsche Siedler auf russischem Boden. In: Russen und Deutsche. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur. Essays. Hrsg. von Alexander Lewykin und Matthias Wemhoff. Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012, S. 260–271.

Das russische Kulturleben im Berlin der 1920er Jahre. Hrsg. von Dr. Andreij Tschernodarow im Auftrag der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Berlin: Klak Verlag 2014.

György Dalos: Geschichte der Russlanddeutschen. Von Ka­tharina der Großen bis zur Gegenwart. Deutsche Bearbei­tung von Elsbeth Zylla. München: C.H.Beck 2015.