Ausstellung
Kreuzkirche EisenachWELTENWECHSEL
Weltenwechsel – Der deutsch-russische Maler Georg Schlicht (1886 – 1964) zwischen Saratow und Eisenach
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Nach erneutem Briefwechsel zwischen Hamburg und Eisenach erhielt Georg Schlicht im Herbst 1928 vom Verein der Freunde der Wartburg schließlich den Auftrag für eine Probekopie des Freskos Überführung der Gebeine der Hl. Elisabeth, die er im September/Oktober in Öl auf Leinwand ausführte, als er sich anlässlich der Hochzeit seiner Schwägerin in Eisenach aufhielt. Laut einem Brief des Oberbürgermeisters musste er abwarten, bis die Firma Zeiss/Jena fotografische Farbaufnahmen der Elisabeth-Galerie zwecks Zustandsfixierung fertiggestellt hatte. Auch wurde ihm nahegelegt, auf den Fremdenverkehr Rücksicht zu nehmen. Dieser ersten Probekopie folgte zeitnah eine weitere in zwei Teilen, die Ausschnitte aus dem Sängerkrieg zeigen, diesmal in Tempera auf Kalkgrund auf Leinwand ausgeführt. Eine der Kopien befindet sich heute im Deutschen Burgenmuseum auf der Veste Heldburg, die andere ist im Besitz der Georg-Schlicht-Stiftung in Eisenach.
Ein zweieinhalbseitiger Brief vom 20. Oktober 1928 an die Jury-Kommission zur Erhaltung der Wartburg-Fresken mit Kopie an den Verein der Freunde der Wartburg zeigt, wie ernst Georg Schlicht seine Aufgabe im Hinblick auf denkmalpflegerische Erwägungen nahm.
Bei der Ausführung des Auftrages lag ihm ein Kompromiss „zwischen dem, was ursprünglich war und dem, was jetzt ist“ am Herzen. Seine in Moskau genossene Ausbildung versetzte ihn in die Lage, den von verschiedentlichen Restaurierungsbemühungen geprägten schlechten Erhaltungszustand der Fresken genauer zu untersuchen, auch wenn ihm, wie er betonte, nicht gestattet wurde, das zu kopierende Bild abzuwaschen. So galt es zunächst festzustellen, „was an dem Original von Schwind in unberührtem Zustande übrig geblieben war und was im Laufe der Zeit übermalt worden ist“. Für seine Kopien berücksichtigte er mögliche Veränderungen der einzelnen Farben aufgrund von chemischen Reaktionen und Sonneneinwirkung und setzte diese auf wissenschaftlicher Basis gewonnenen Erkenntnisse in Bezug zu seinem persönlichen künstlerischen Empfinden. Besonders wichtig war ihm die Frage nach der Intensität und den Nuancen der jeweiligen Farbe, die er durch Abgleich mit anderen Fresken des Künstlers zu bestimmen suchte. Auch ein aufgefundenes älteres Foto, das allerdings ohne Lichtfilter aufgenommen worden war, zog er zu Rate. In Bezug auf die Kopien des Fragmentes aus dem Sängerkrieg pries er die Materialähnlichkeit mit dem Original an: „Dieses, mein neues Verfahren, ist besonders für Fresko-Kopien geeignet. Bei dieser Malweise werden dieselben Materialien und Techniken verwendet, wie beim Fresko, deshalb kann man täuschend nachahmen.“ Abschließend schlug er noch eine weitere Kopie auf feuchtem Grund vor.
Außer Georg Schlicht wurden noch fünf weitere, damals nicht unbekannte Künstler mit Kopien beauftragt: neben dem bereits erwähnten Alfred Oehme die in Eisenach ansässigen Ludwig Streitenfeld und Paul Hempe, Otto Fröhlich aus Weimar sowie Otto Vittali. Die Öffentlichkeit wurde über die Ergebnisse der Arbeiten informiert. Am 2. Februar 1929 erschien in der „Eisenacher Tagespost“ ein ausführlicher Bericht unter der Überschrift „Verfall und Rettung der Schwindschen Fresken“, begleitet von einem Foto, das Georg Schlicht vor seiner Kopie des Freskos auf der Elisabeth-Galerie zeigt.
Zwar werden all sechs Künstler gewürdigt, doch gilt die Sympathie des Verfassers, Dr. Ulrich Nicolai, Georg Schlicht. Er lobt ihn für die besondere „Einfühlung in den Geist und Stil Schwinds“ und kommt zu dem Schluss: „Er scheint die Forderung, die Schwind-Fresken in der Farbenfrische des Urzustandes vor 74 Jahren zu kopieren, erfüllen zu wollen“. Darüber hinaus würdigt er Georg Schlichts Auseinandersetzung mit verschiedenen Materialien für den Malgrund und mit Maltechniken.
Am Ende erfüllten sich Georg Schlichts Wartburg-Träume nicht. Am 29.05.1929 erschien in der „Eisenacher Zeitung“ eine Mitteilung über die offizielle Vergabe aller Kopien an Otto Fröhlich. Das Problem aber blieb. Erst seit 2017 sind die nun sorgfältig restaurierten Fresken auf der Wartburg wieder zu besichtigen.