Ausstellung

Kreuzkirche Eisenach

WELTENWECHSEL

Weltenwechsel – Der deutsch-russische Maler Georg Schlicht (1886 – 1964) zwischen Saratow und Eisenach

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Darüber hin¬aus hatte es viel beachtete Gastspiele der Ballets Russes in Berlin und anderen deutschen Städten gegeben. Doch die geflohenen Russen blieben Anfang der 1920er Jahre in Berlin weitgehend unter sich. Da sich auch Georg Schlicht der retrospektiven Ästhetik der “Welt der Kunst” verpflich¬tet fühlte, ist es nicht verwunderlich, dass man auf ihn auf¬merksam wurde. Auf dem Umschlag der Nr. 7 von “Жаръ птица Jar Ptiza” von 1922 steigt die phantastische Figur des Feuervogels mit ihrem prachtvollen gold-blauen Gefie¬der über dem Garten mit den goldenen Äpfeln auf, von de¬nen er sich der Legende nach ernährt.

Titelblatt der Zeitschrift Жаръ птица. Jar/Ptiza, No 7, 1922

Titelblatt der Zeitschrift Жаръ птица. Jar/Ptiza, No 7, 1922

Emphatisch wendet der Feuervogel seinen Kopf nach rechts, d.h. nach Osten, von wo weit unter ihm, hinter dem blauen Band eines Flusses, schon eine Burgmauer und die Zwie­beltürme weißer Kirchen hinübergrüßen. Seine ganze Hin­wendung, so die Botschaft des Bildes, gilt dem in der Ferne liegenden Russland.
Derartige Sehnsuchtsbilder von Russland vermischten sich häufig mit den damals in ganz Europa beliebten Orient­phantasien. Georg Schlicht schuf für die von Curt Moreck besorgte zweibändige Ausgabe 1001 Tag. Orientalische Ge­schichten aus dem Persischen und Arabischen, die 1928 im Kentaur-Verlag Berlin erschien, farbprächtige, stark romanti­sierte Illustrationen. Die wie gewohnt detailfreudigen Zeich­nungen präsentieren bekannte Stereotypen der Orienbegeis­terung wie fliegende Teppiche, enge Straßen mit südlichem Flair, Kuppeln und Minaretten, verschleierte Frauen und Män­ner in Pluderhosen und Turban und natürlich Haremsszenen.

Die Jahre in Eisenach
Eisenach, die Geburtsstadt von Johann Sebastian Bach und eine der Wirkungsstätten von Martin Luther, hatte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einerseits Anteil an der allgemeinen Industrialisierung und fungierte ande­rerseits, wenn auch mit mäßigem Erfolg, auch als Kurbad. In den 1920er Jahren zählte die Stadt etwas über 40.000 Einwohner und profitierte dank guter verkehrstechnischer Anbindung vom zunehmenden Fremdenverkehr. Mit der 1922 erfolgten Gründung des Vereins “Freunde der Wart­burg” stieg die Zahl der Touristen in den folgenden Jah­ren, darunter zahlreiche Ausländer u.a. aus den USA, den Niederlanden sowie aus Österreich und Ungarn. Politisch war die Stadt von großen Gegensätzen geprägt. Schon 1925 gab es erste Ausfälle gegen Juden, 1927 und 1932 trat Adolf Hitler im Hotel “Fürstenhof” auf, 1930 Hermann Göhring; aber auch die SPD und die KPD waren sehr aktiv. Was genau Georg Schlicht 1922 veranlasst hat, aus der dynamischen Hauptstadt der Weimarer Republik in das eher beschauliche thüringische Eisenach überzusiedeln, ist nicht bekannt. Der Umstand, dass mit Maria Pawlowna (1786–1859) eine russische Prinzessin Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach gewesen war, dürfte kaum von Belang gewesen sein. Wahrscheinlicher sind familiäre Grün­de: im Stadt-Buch für Eisenach von 1920 ist in Abt. 2, im Al­phabetischen Verzeichnis der Einwohner, auf S. 100 ein Os­kar Schlicht, Ingenieur, wohnhaft in der Clemensstr. 31/33, erwähnt; 1922 wohnte Oskar Schlicht in der Uferstr. 38 in der Nähe des Bahnhofs. Georg Schlicht zog am 18.06.1922 zunächst in die Uferstr. 28a und wechselte 1923/24 in die Uferstraße 40. Erhalten haben sich ein späteres Ölbildnis der Stiefschwester von Georg Schlicht, Margarete Minke, und eine an Michail Wrubel geschulte Porträtzeichnung seiner Stiefmutter, Sophie Schlicht. Inzwischen waren auch Georg Schlichts Ehefrau Xenia und der gemeinsame Sohn Erich nach Eisenach übergesiedelt. 1924 wurde die Ehe in gegenseitigem Einvernehmen geschieden. Im selben Jahr lernte Georg Schlicht Elisabeth Johannes, seine zweite Ehefrau kennen. Sie war die Tochter des früh verwitweten Hoteliers Rudolf Johannes, Besitzer des Hotels “Kronprinz” in der Bahnhofstraße. Das Paar heiratete 1926 gegen seinen Willen, denn der Schwiegervater hegte wie Georg Schlichts Vater ein tiefes Misstrauen gegen das finanziell unsichere Künstlerdasein. Erst die Geburt der mehrfach porträtierten Tochter Irmgard im Jahr 1927 vermochte das Verhältnis zu harmonisieren.