Ausstellung
Kreuzkirche EisenachWELTENWECHSEL
Weltenwechsel – Der deutsch-russische Maler Georg Schlicht (1886 – 1964) zwischen Saratow und Eisenach
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In Georg Schlichts Selbstbildnis von 1926, in dem er sich als Halbfigur im schwarzen Arbeitskittel vor dunklem Hintergrund dargestellt hat, sind mehrere Traditionsstränge zu erkennen. Es ruft mit seinem dunklen Kolorit die “Alten Meister” auf, erinnert aber gleichzeitig an das Bildnis Wiktor Wasnezow aus der Moskauer Tretjakow-Galerie, das Nikolai Kusnezow (1850–1930) 1891 von dem Begründer des Nationalstils in der russischen Malerei geschaffen hat. In der betonten Nüchternheit der Form und der gespannten Konzentration von Georg Schlicht lässt sein Selbstbildnis aber auch Anklänge an die “Neuen Sachlichkeit” und besonders an Otto Dix erkennen. Im durch die Kleidung repräsentativer gehaltenen Bildnis Elisabeth Schlicht aus demselben Jahr liegt der Fokus auf dem in sich ruhenden Selbstbewusstsein einer Frau aus gutem Hause, die bei aller diskreten Eleganz auch Klugheit und emotionale Wärme ausstrahlt – Eigenschaften, die der Maler an seiner Frau offensichtlich besonders schätzte. Für das Heim der neuen Familie fertigte Georg Schlicht Möbel, was für die damalige Zeit nicht unüblich war. Eine Sitzecke, zwei gepolsterte Eckstühle, ein Tisch, eine Tischtruhe und eine Kredenz für das Esszimmer bezeugen, dass er wiederum an seine russischen Erfahrungen anknüpfte. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Tischlerwerkstatt in Abramzewo, die die Mäzene Sawwa Mamontow (1841–1918) und seine Frau Jelisaweta Mamontowa (1847–1908) ins Leben gerufen hatten. Die dort hergestellten Möbel erfreuten sich vor der Revolution allgemeiner Beliebtheit. An sie erinnert der geschnitzte ornamentale und farbig gefasste Schmuck der Möbel im Stil des späten Jugendstils, auch wenn Georg Schlicht ihn im Hinblick auf den Geschmack seines nun deutschen Umfeldes eher zurückhaltend gestaltet hat. Dies gilt insbesondere für das stark vereinfachte Motiv eines Pferdekopfes, während stilisierte Blüten und eine orientalische Tänzerfigur eher an die Bildwelten von Léon Bakst (1866- 1924) oder Boris Anisfeld (1878–1973) denken lassen. Damit verlieh der Künstler der national-romantischen Hoffnung der “weißen Emigration” auf eine “Wiedergeburt” Russlands und seiner Traditionen auch im privaten Bereich Ausdruck. Auch im Genre des Stilllebens, das in der russischen Kunst vor der Revolution eine ausgesprochene Blütezeit erlebt hatte, brachte Georg Schlicht seine Weltsicht zum Ausdruck. Überbordende Bildarrangements erinnern an die Bilder von Nikolai Sapunow und Sergei Sudeikin.
Durch einen Blick von oben in eng gewählte Bildausschnitte lässt Georg Schlicht die Betrachter förmlich eintauchen in den Zauber alltäglicher und kostbarer Dinge, die auf üppig drapierten Stoffbahnen ausgebreitet und in leuchtenden Farben und lockerem Pinselstrich gemalt sind. Nicht immer entsprach dies dem Geschmack des deutschen Publikums. So hieß es über eines der Stillleben, das im Schaufenster der Eisenacher Kunsthandlung Paul Schulze am Karlsplatz zu sehen war, wo Georg Schlicht wiederholt ausstellte, in einem nicht näher zu bestimmenden Zeitungsausschnitt: “So treu und unverkennbar tritt die Freude am Glanz zutage, daß man leise den Vorwurf erheben möchte: Schlicht, hast Dich hier bestechen lassen. Das war der Fluch des Goldes der Vase.” Gleichwohl haben die Stillleben für Georg Schlicht auch Bekenntnischarakter, und zwar über Konfessionsgrenzen hinweg. Auf dem großformatigen, in gedämpften Farben gemalten Mystischen Stillleben liegt ein verschlossenes Evangelium am vorderen Bildrand. Es wird hinterfangen von Kerzenträgern und einer betenden, östlich anmutenden Frauenfigur vor Teppichen mit geometrischen Mustern, wie sie im Kaukasus, in der Türkei und in Vorderasien üblich sind. Auch die metallene Kanne links verweist eher auf den arabischen Raum.
In Eisenach pflegte Georg Schlicht Kontakte in gutbürger¬lichen Kreisen. Besonders verbunden war er offensichtlich mit der Familie des Arztes Dr. med. Karl du Mont, den Ge¬org Schlicht mehrfach porträtiert hat, sogar in Form einer Karikatur. Die Bildnisse anderer Mitglieder der Familie sind stilistisch unterschiedlich gehalten. Geschult an der russi¬schen und westeuropäischen Moderne, erfassen sie jeweils wesentliche Züge und Interessen der Modelle. Einige der Porträts weisen eine starke Binnendynamik auf, z.B. das Bildnis Dr. med. Karl du Mont mit Cello.