Ausstellung

Kreuzkirche Eisenach

WELTENWECHSEL

Weltenwechsel – Der deutsch-russische Maler Georg Schlicht (1886 – 1964) zwischen Saratow und Eisenach

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Georg Schlicht verkehrte auch mit Prof. Georg Kugel, Bild­hauer und Direktor a.D. der Staatlichen Gewerbe- und Zei­chenschule, und mit Oberstaatsanwalt Dr. Schlegel, der sich in den Dienst des NS-Systems stellte.
Mehrfach konnte sich Georg Schlicht in der Eisenacher Öffentlichkeit präsentieren. Anfang Mai 1925 war er in der Städtischen Galerie am Markt im ehemaligen großherzogli­chen Schloss vertreten, wo gerade auch die Elschner Gale­rie, gestiftet vom geheimen Rat Curt Elschner, eingerichtet worden war. Unter den Teilnehmern der benachbarten Thü­ringer Kunstausstellung des Eisenacher Kunstvereins, auf der Werke von Weimarer und Eisenacher Malern gezeigt wurden, erregte gerade Georg Schlicht besondere Aufmerk­samkeit.
Die „Eisenacher Zeitung“ (ohne Datum) suchte ihn anhand des heute verlorenen Selbstbildnisses Schöpfung in die Ent­wicklung der modernen Kunst einzuordnen:  „Seine große Komposition ‚Schöpfung‘ zeigt, dass er durch den Expressionismus hindurchgegangen ist, dass er ihm Vertie­fendes und neue Ausdrucksmöglichkeiten gebendes Erleb­nis geworden ist, ohne doch in ihm zu erstarren, ohne doch in ihre gefährliche Verwechslung der formalen Ausdrucksmittel mit dem Ausdrucksinhalt des eigenen Schaffens zu geraten.

Georg Schlicht: Schöpfung. Anfang 1920er Jahre. Verbleib unbekannt

Georg Schlicht: Schöpfung. Anfang 1920er Jahre. Verbleib unbekannt

Inhaltlich gemahnt das Bild an jene Werke französischer Im­pression (Künstler mit seiner Muse), ja merkwürdigerweise, sogar an Slevogt und Corinth, ohne doch sonst irgendetwas mit ihnen zu tun zu haben.“ Georg Schlicht verortete sich mit diesem symbolistischen Selbstbildnis nun in einer Zwischen­welt, am Kreuzungspunkt zwischen Deutschland und Russ­land. Entschieden schreitet er in wehendem Mantel und mit der Figur einer nackten Muse im Arm voran. Auf einem Hügel im Hintergrund rechts ist eine Burg, möglicherweise die Wart­burg zu erkennen, doch wird das Paar von der sich gegenläu­fig bewegenden, riesigen Figur eines Feuervogels gestreift. In den Leipziger Nachrichten vom 6. Mai 1925 hält sich die Begeisterung für das Bild in Grenzen: „Von Georg Schlicht, dem bedeutendsten der Eisenacher Künstlerschar, sehen wir ein Riesengemälde ‚Schöpfung‘. Es weist außerordentliche Qualitäten auf, besonders in koloristischer Beziehung, lässt aber infolge seiner Größe manche Feinheit missen, die uns Schlichts kleinere Stücke so nahebringen.“
Wie bereits deutlich wurde, bewirkte die Georg Schlicht wie vielen seiner Landsleute und Generationsgenossen eigene tiefe Verunsicherung eine anhaltende existentielle Sinnsu­che. Wiederholt beschäftigte er sich mit der Offenbarung des Johannes, d.h. mit der Apokalypse. Dieser seit dem Spätmit­telalter sowohl in der westlichen als auch in der russischen Denk- und Bildtradition verankerte Text und eschatologi­sches Gedankengut erlebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts neue Aktualität. Selbst Vertreter der Avantgarde wie Wassily Kandinsky interpretierten apokalyptische Vorstellungen und erhofften sich von der Zerstörung der alten die Erschaffung einer neuen Welt.
Georg Schlicht war nach seiner erzwungenen Emigration je­doch eher kulturpessimistisch gestimmt, wie man aus sei­nem zwischen 1922 und 1925 entstandenen Zyklus von 12 buntfarbigen Blättern in Aquarelltechnik zu Sujets aus der Apokalypse schließen kann. Besondere Bedeutung maß er, nicht zuletzt in Anlehnung an Arnold Böcklin (1827–1901) und Michail Wrubel dem Reitermotiv bei: Der Reiter auf dem hohen Ross – Der Krieg rast vor schwarzem Himmel über eine russische Landschaft mit Kreml-Anlagen; in Das fahle Pferd – Der Tod triumphiert der Knochenmann auf einem dürren, sich dahinschleppenden Schimmel und in Schwar­zer Reiter mit Waage – Der Hunger beherrscht ein vitaler Rappe die düstere Szenerie mit einer hungernden Familie. Drei in der Georg Schlicht-Stiftung Eisenach aufbewahrte, wesentlich reduziertere, aber dramatisch zugespitzte Blät­ter, in denen der schwertschwingende Reiter auf einem roten Pferd auf einer Diagonale aus dem Bildraum heraus über gespenstische Ruinenlandschaften auf den Betrachter zu galoppiert, sind Reaktionen auf den Zweiten Weltkrieg. Georg Schlicht hatte die Vernichtung seiner Wohnung in Berlin und damit ein zweites Mal großer Teile seines OEu­vres hinnehmen müssen. Doch ging es ihm offensichtlich um die allgemeinmenschliche Dimension des neuerlichen Schreckens. Im Hintergrund von einem der Blätter scheint sogar der Atompilz als Signum der Epoche auf.