Ausstellung

Kreuzkirche Eisenach

WELTENWECHSEL

Weltenwechsel – Der deutsch-russische Maler Georg Schlicht (1886 – 1964) zwischen Saratow und Eisenach

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In Moskau 1907-1915
1907, nach dem Ende der ersten russischen Revolution, siedelte die Familie nach Moskau über. In der alten russischen Hauptstadt erschlossen sich Georg Schlicht neue Welten, auch wenn der Vater weiterhin über das berufliche Fortkommen des Sohnes wachte. Noch im selben Jahr schloss Georg Schlicht sein Studium an der Moskauer Industrie-Lehranstalt zum Andenken an das 25-jährige Thronjubiläum von Imperator Alexander II. ab. Er dürfte sich voller Enthusiasmus in das reiche kulturelle Leben gestürzt, Theater, Museen und Ausstellungen besucht haben. Es dauerte noch drei Jahre, bis Georg Schlicht 1911, im Alter von 25 Jahren, schließlich ein Studium an der Moskauer Schule für Malerei, Bildhauerei und Baukunst aufnehmen konnte, was für die damaligen Verhältnisse spät war. Als Kompromiss mit der Familie schrieb er sich an der Architektur-Abteilung der Hochschule ein, damit zumindest formal eine praxisnahe Ausbildung zu erwarten war.
In jenen Jahren genoss die 1856 gegründete Lehranstalt einen guten Ruf, der auf der Unabhängigkeit vom Hof und ihrer demokratischen Atmosphäre gründete. Seit den 1890er Jahren hatte sie sich mit ihrer Öffnung für moderne Strömungen in der Kunst, vor allem für impressionistische Bestrebungen, noch deutlicher von der konservativen Kaiserlichen Akademie der Künste in St. Petersburg abgegrenzt. An der Moskauer Lehranstalt für Malerei, Bildhauerei und Baukunst unterrichteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts so bekannte Künstler wie Abram Archipow (1862–1930), Leonid Pasternak (1865–1945), Walentin Serow (1865–1911) und Konstantin Korowin (1861–1939). Reminiszenzen an Genrebilder, Porträts und Landschaften der Genannten finden sich in den Werken von Georg Schlicht immer wieder.

Georg Schlicht widmete sich seinem Studium mit großem Engagement, denn als einer der drei Besten seines Jahrgangs erhielt er ein Stipendium. Offensichtlich konzentrierte er sich gemäß seiner Neigung auf die Malerei und beteiligte sich, wie es üblich war, an Ausstellungen seiner Lehranstalt. Darüber hinaus suchte er aber auch andere Bühnen um sich zu präsentieren. So war er 1912 z.B. an der 1. Ausstellung von Gemälden und Studien der Künstlerisch-artistischen Assoziation im Soljanyj gorodok (Salzstädtchen) in St. Petersburg, die bis 1914 existierte, beteiligt. Von 5000 eingereichten Werken wurden 600 Werke von 140 Künstlern unterschiedlicher Richtungen ausgewählt. Die zugelassenen Künstler, darunter auch Vertreter der russischen Avantgarde wie Dawid Burljuk (1882–1967), Wladimir Majakowski (1893–1930) oder El Lissitzy (1890–1941), durften nicht mehr als zweimal bei anderen Gruppierungen ausgestellt haben. Im Katalog dieser Ausstellung sind drei Werke von Georg Schlicht erwähnt:  Herbststudie, Herbsttöne und Kathedrale in Swenigorod. Die Erlöser-Kirche “auf dem Städtchen” in Swenigorod ist ein berühmtes Denkmal der mittelalterlichen Moskauer Architektur, für die wahrscheinlich Andrei Rubljow (1360–1430) die berühmten Deesis-Ikonen gemalt hat. Aus den Bildtiteln kann man schließen, dass Georg Schlicht zu diesem Zeitpunkt stimmungsvolle heimische Landschaften malte, die sich mit ihrem motivischen und emotionalen Identifikationspotential im damaligen Russland großer Beliebtheit erfreuten. Avantgardistischen Tendenzen, etwa dem Neo-Primitivismus, wie ihn Michail Larionow (1881–1964) und Natalia Gontscharowa (1881–1962) vertraten, oder dem Kubo-Futurismus, stand Georg Schlicht ablehnend gegenüber. Er schätzte vielmehr die exaltierte und bildkünstlerisch komplizierte Malerei und Zeichenkunst von Michail Wrubel, nach dessen Werken er auch in späteren Jahren immer wieder Studien anfertigte.